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Panos Karnezis: Der Irrgarten

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2017-02-01 2017-04-24 01.02.2017

Panos Karnezis erzählt in seinem ersten Roman die Geschichte einer in der anatolischen Wüste umherirrenden griechischen Brigade

Sommer 1922, nach drei Jahren des Versuchs, die Mittelmeerregion des türkisch-osmanischen Reichs zu besetzen, zieht sich die griechische Armee geschlagen aus Kleinasien zurück. Tausende von Soldaten fliehen Richtung Küste, um von dort aus zurück in die Heimat zu gelangen. Vor diesem Hintergrund realer historischer Ereignisse schildert der 1967 in Griechenland geborene und seit 1992 in London lebende Autor Panos Karnezis in seinem in der Premiumreihe des Deutschen Taschenbuch Verlags erschienen ersten Roman „Der Irrgarten“ mit großer erzählerischer Kraft und voller Einfallsreichtum - manchmal aber ein bisschen zu aus- und abschweifend - die Geschichte einer Brigade, die sich in der anatolischen Wüste verirrt hat. Es ist die Geschichte menschlicher Katastrophen mit tragikomischen Zügen. Ohne jeden Funkkontakt zur Außenwelt scheint General Nestor seine Truppen im Kreis zu führen. Auf Lastwagen, zu Pferde oder zu Fuß irrt die Brigade samt Dromedaren und Artilleriegeschützen umher. Als Lazarett dient ein Zirkuszelt mit roten Kreuzen auf dem Dach - und Bildern von wilden Tieren, lachenden Clowns, fliegenden Akrobaten an den Zeltwänden. Wie bereits in Panos Karnezis’ Erzählband „Kleine Gemeinheiten“ (auf Deutsch ebenfalls beim Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen) bevölkern ebenso überzeugende und liebenswerte wie fehlerhafte und lächerliche Figuren den „Irrgarten“: Abhängig von immer größeren Mengen an Morphium, bemüht sich der General, den die Erinnerung an ein verübtes Massaker quält, um Disziplin in seiner Truppe und gibt sich seiner Leidenschaft für die griechische Mythologie hin; Pater Simeon setzt sich über Megaphon oder in einem schäbigen, aus alten Uniformen zusammengenähten und mit dem Blechschild „Heilige Orthodoxe Kirche der Kappadokischen Patres“ versehenen Zelt für die Seelen der Soldaten ein. Doch die Moral versinkt langsam im Wüstensand: Eine Reihe von Diebstählen und eine tote Schlange geben Rätsel auf wie auch kommunistische Pamphlete, die allmorgendlich im Lager auftauchen und den Krieg als „imperialistisches Unternehmen“ kritisieren und die Regierung für die Misere der Truppe verantwortlich machen. Schließlich stößt die Truppe dank eines Pferdes auf eine bisher vom Krieg verschont gebliebene griechische Siedlung, das Meer, über das es nur ein Sprung in heimatliche Gefilde ist, rückt in erreichbare Nähe. Eine glückliche Wendung des Schicksals? Diese lässt sich an einem Ort, wo der Bürgermeister mit einer Katze, deren Stammbaum bis in die Zeiten der Pharaonen zurückgeht, im Rathaus regiert, ein Journalist im heruntergekommenen Hotel Splendide auf die große Story wartet, Madame Violetta im ehemaligen Haus des Gouverneurs ein Bordell betreibt, ein Arzt auch angekettete Gefangene operiert, der Pater sich selbst zum „Apostel aller Anatolier“ ernennt, und die Ratten in der Kirche hausen, wohl nicht erwarten. Im Gegenteil, die Ereignisse überschlagen sich. Nach Hinrichtungen und einer Sintflut - allerdings versinkt der Ort nicht wie das Dorf im Erzählband „Kleine Gemeinheiten“ im Wasser, sondern in blutrotem Schlamm und Staub - bleibt nur die Flucht: Die griechischen Bewohner schließen sich der in Richtung Meer abziehenden Truppe an, die muslimischen Einwohner zieht es ins Landesinnere. „Die Wüste“, „Die Stadt“ und „Das Meer“ heißen die drei Kapitel in Panos Karnezis’ Roman „Der Irrgarten“, die von einem Prolog, der im Grunde genommen das Ende der Geschichte bereits vorweg nimmt, und einem Epilog eingerahmt werden. In diesem Roman, in dem der auf Englisch schreibende Panos Karnezis, der Ingenieurwesen und im Anschluss Creative Writing an der University of East Anglia studierte, - wie bereits in seinem international hochgelobten Erzählband „Kleine Gemeinheiten“ - große erzählerische Qualitäten beweist, prallen Gesinnungen und Weltbilder und allzu menschliche Schwächen aufeinander. So erweist sich ausgerechnet Pater Simeon beispielsweise als Dieb, der sein Handeln theologisch zu rechtfertigen versucht. Ausführlichst schildert der Autor tiefgründig, scharfsinnig und geistreich, mit Phantasie und viel Sinn für schwarzen Humor das Geschehen und taucht in die Lebensläufe der Figuren - einschließlich des Hundes Caleb, der am Fuße eines Minaretts in Istanbul geboren wurde und jetzt als treuer Begleiter von Pater Simeon eine Schlüsselrolle in der Handlung innehat. Dabei holt Karnezis allerdings mitunter ein wenig zu weit aus, packt zu viele Themen in seine Geschichten, die manchmal nicht von dieser Welt zu sein scheinen. „Der Irrgarten“ wurde für den Whitbread First Novel Award nominiert.

Panos Karnezis: Der Irrgarten. Roman.
Aus dem Englischen von Sky Nonhoff.
Deutscher Taschenbuch Verlag München.
360 Seiten.

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